Laborparameter und ihre Aussagekraft
Nur bei etwa 10% der Patienten, die mit Brustschmerzen in die Notaufnahme kommen, handelt es sich um einen akuten Angina pectoris-Anfall oder Herzinfarkt. Für 90% ist also – im Nachhinein – klar, dass der sehr hohe diagnostische Aufwand zum Nachweis oder Ausschluss dieser Ereignisse hätte gespart werden können.
Ein Laborparameter, der unmittelbar nach Einsetzen von Brustschmerzen, und zwar nur von infarktbedingten Brustschmerzen, deutlich messbar reagiert, wäre hilfreich, um diesen diagnostischen Aufwand zu vermeiden. Das wäre gut für Patienten (weniger psychische Belastung), Ärzte (weniger Arbeitsbelastung) und Gesundheitswesen (weniger Kosten). Der klassische kardiale Parameter Troponin braucht 1-2h, um auf auffällige Serumspiegel anzusteigen und erfüllt die erforderlichen Eigenschaften daher nicht ideal.
Allerdings müsste dieser Parameter sehr zuverlässig sein, wenn man die Entscheidung darauf begründet, weder weitergehende Diagnostik noch eine Therapie durchzuführen – der so genannte negative Vorhersagewert müsste an die 100% sein.
Nun wurde auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie eine randomisierte kontrollierte Studie vorgestellt, die die Eignung von Copeptin untersucht hat, eines Glykopeptids, das generell kardialen Stress anzeigt und bereits direkt mit Einsetzen der Schmerzen ansteigt [1]. In der Interventionsgruppe wurden Patienten nicht weiter untersucht, sondern „nur“ ambulant beobachtet, wenn ihr Serum-Copeptin nicht erhöht war. In der Kontrollgruppe erhielten die Patienten die empfohlene volle Diagnostik. In der Interventionsgruppe wurde bei über fünfmal so vielen Patienten auf die Diagnostik verzichtet wie in der Kontrollgruppe. Jedoch waren die kardialen Komplikationen nach 30 Tagen in beiden Gruppen gleich selten, so dass der Diagnostik-Verzicht medizinisch keinen Nachteil bedeutete.
Weitere Details dieser Studie sind unter http://congress365.escardio.org zu finden.
[1] M Möckel et al.: BIC-8: Instant early rule-out using cardiac troponin and copeptin in low- to intermediate-risk patients with suspected ACS: A prospective, randomized multicenter study. ESC Kongress 2013, Amsterdam
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Hallo,
ich lese den Beitrag erst heute und wundere mich, dass nach neuen Markern für die Herzinfarkt- Frühdiagnose sucht. Ich dachte mit hFABP in Verbindung mit Troponin als Diagnose-Marker hätte sich das Problem erledigt. Oder wo ist der Pferdefuß bei hFABP?
Es grüßt herzlich aus dem kalten Westerwald
Lieber Herr Christmann,
danke für den Einwand. Stimmt, das heart-type fatty acid-binding protein hFABP gibt es auch. Wir sehen hier den typischen Gang des medizinischen Fortschritts: der beginnt mit der Entdeckung eines Zusammenhangs (hier der Erhöhung der hFABP- und Copeptin-Spiegel bei Herzinfarkt). Daraus wird eine Hypothese abgeleitet (hier, dass sich diese Spiegel als diagnostische Parameter nutzen lassen könnten). Damit ist jedoch noch nicht das Ende erreicht, denn es fehlen noch die Studien, die die Hypothese bestätigen oder ablehnen – oder eine Aussage darüber erlauben, inwieweit die Hypothese zutreffend ist (hier: ob die beiden Parameter ausreichen sensitiv und spezifisch sind, damit man darauf eine medizinische Entscheidung gründen kann). Das beginnt oft mit Beobachtungsstudien und retrospektiven Datenauswertungen, die (relativ) schnell durchgeführt werden können, und endet mit randomisierten kontrollierten Studien. Und am Ende kann man in der Zusammenschau aller Ergebnisse dann auch einen Vergleich zwischen verschiedenen Strategien anstellen, hier: welcher Parameter besser geeignet ist. Da sind wir in Bezug auf die Herzinfarkt-Parameter noch nicht ganz…
Herzlichen Gruß,
Dorothee Dartsch