Wie streng sollten Leitlinien befolgt werden?
Leitlinien streben vielfach mit komplexen Kombinationstherapien ehrgeizige Behandlungsziele an. Entwickelt werden sie durch die Auswertung klinischer Studien, die in der Regel mit erwachsenen Patienten unter 60 Jahren durchgeführt werden.
Aber sind die Studienergebnisse auf ältere Patienten übertragbar? Gelten die Versprechen einer konsequenten Leitlinientherapie auch für sie? Oder kehrt sich die positive Beeinflussung von Mortalität und Morbidität durch die Zunahme von unerwünschten Wirkungen eventuell sogar um?
Die Frage der Übertragbarkeit von Therapieempfehlungen stellt sich bei allen Patienten, die „außerhalb der Norm“ liegen: besondere Altersgruppen (sehr alt, sehr jung), Schwangeren und Stillenden, Patienten mit Eliminationsstörungen (Leber-, Niereninsuffizienz). Neben dem ärztlichen ist zur Beantwortung auch der pharmazeutische Sachverstand gefragt, weil vielfach pharmakokinetische und pharmakodynamische Unterschiede sowie Besonderheiten bei der Arzneimittelanwendung zu berücksichtigen sind.
Eine aktuelle Studie hat nun untersucht, ob Patienten, die älter als 85 Jahre sind, nach einem Herzinfarkt von einer dauerhaften Therapie mit ASS, ACE-Hemmern / AT1-Blockern, Betablocker und Lipidsenker profitieren [1]: Mit der Zunahme der Verordnung dieser Wirkstoffe stieg auch die 90-Tage-Überlebensrate. Neben der medikamentösen Therapie kann auch die häufigere Anwendung der perkutanen Koronarangioplastie anstelle einer Bypass-Operation zu der positiven Entwicklung beigetragen haben.
Demnach reduziert eine leitliniengerechte Therapie auch bei diesem Patientenkollektiv die Mortalität. Zu untersuchen bleiben die Sicherheit / Lebensqualität und die langfristige Auswirkung auf Mortalität und Morbidität.
Diese Studie war finanziert durch das NIH und zwei seiner Fachabteilungen, die Autoren bestätigen die Abwesenheit eines Interessenkonfliktes.
[1] J Tjia et al.: Encouraging trends in acute myocardial infarction survival in the oldest old. Am J Med. 2013 Sep;126(9):798-804
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