Kein Testverfahren liegt zu 100% richtig. Ein Teil der Ergebnisse wird positiv sein, obwohl der Getestete das, worauf getestet wurde, nicht hat (falsch Positive). Genauso wird der Test bei einem Teil derjenigen mit dem fraglichen Merkmal negativ sein (falsch Negative).
Ein guter Test liegt natürlich in beide Richtungen möglichst selten falsch. Oft ist es aber so, dass ein Test, der besonders empfindlich und zuverlässig ist, immer mal ein paar falsch positive Ergebnisse produziert. Umgekehrt liefert ein Test, der entwickelt wurde, um Verwechslung mit ähnlichen Merkmalen sicher auszuschließen, hin und wieder falsch negative Ergebnisse.
Nehmen wir an, es ginge um einen Corona-Antigentest, der Aufschluss geben soll, ob jemand mit SARS-CoV2 infiziert ist oder nicht. Peter hat einen Abstrich und Test machen lassen, das Ergebnis ist positiv. Was heißt das für ihn?
Nebenbei: Eine Liste der aktuell verfügbaren Corona-Antigentests mit Angaben zur Sensitivität und Spezifität findet sich auf den Seiten des BfArM. Die Spannweite der Testqualität liegt im Moment bei der Sensitivität zwischen 80 und 98%, bei der Spezifität zwischen 97 und 100%.
Sagen wir, der verwendete Test hat eine Sensitivität von 94% und eine Spezifität von 97%.
Die Sensitivität beschreibt den Anteil der wahren Positiven unter den Infizierten. 94% Sensitivität heißt, 94 von 100 Corona-Infizierten haben mit diesem Test ein positives, 6 ein (falsch) negatives Ergebnis.
Die Spezifität beschreibt den Anteil der wahren Negativen unter den Gesunden. 97% Spezifität heißt, 97 von 100 nicht infizierten Personen haben ein negatives, 3 ein (falsch) positives Ergebnis.
Was Sensitivität und Spezifität aussagen
Bei hoher Sensitivität bedeutet ein negativer Test, dass eine Infektion mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden kann, weil es nur wenig falsch negative Befunde gibt. Umgekehrt sagt bei hoher Spezifität ein positives Testergebnis aus, dass wahrscheinlich eine Infektion vorliegt. Wenn man vermeiden möchte, dass jemand durch Sorglosigkeit aufgrund eines falsch negativen Ergebnisses andere ansteckt, sollte der Test eine möglichst hohe Sensitivität haben. Würde man niemanden zu Unrecht in Quarantäne schicken wollen, wäre eine hohe Spezifität erstrebenswert.
Die Frage, die Peter sich stellt, ist: „Wie groß ist angesichts des positiven Tests die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich infiziert zu sein?“ Diese Frage kann anhand der Sensitivität und Spezifität nicht beantwortet werden. Was wir dafür brauchen, sind positive und negative Vorhersagewerte, die sich auf die Zahl der Getesteten beziehen.
Der positive Vorhersagewert (PPV) ist der Anteil der wahr Positiven an allen positiven Testergebnissen, anders gesagt, der Anteil positiv Getesteter, die auch wirklich infiziert sind. Der negative Vorhersagewert (NPV) ist der Anteil der wahr negativen an allen negativen Testergebnissen, d.h. der Anteil negativ Getesteter, die tatsächlich nicht infiziert sind.
PPV und NPV sind – anders als Sensitivität und Spezifität – für einen bestimmten Test nicht unveränderlich, sondern hängen von der Prävalenz der Erkrankung ab. Da wird es jetzt ein bisschen komplizierter.
Die folgende Abbildung verdeutlicht Peters Situation innerhalb einer Bevölkerung, die einmal eine Prävalenz der Infektion von 20% hat (A) sowie einmal von 80% (B). Der Test hat nach wie vor eine Sensitivität von 94% und eine Spezifität von 97%.
Im Szenario A sind 90,5% der positiv Getesteten infiziert, im Szenario B 98,7%. Mit seinem positiven Test hat Peter also bei einer Prävalenz von 20% eine Wahrscheinlichkeit von 90,5%, tatsächlich infiziert zu sein. Wenn die Prävalenz höher ist, bei den 80% aus dem Szenario B, ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass er wirklich infiziert ist, nämlich 98,7%.
Nehmen wir an, Heidi hat ein negatives Testergebnis erhalten. Bei einer Prävalenz von 20% beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass sie wirklich nicht infiziert ist, 98,7%. Liegt die Prävalenz dagegen bei 80%, ist diese Wahrscheinlichkeit geringer, nämlich nur 79,2%.
Generell gilt: Mit steigender Prävalenz steigt auch der PPV, weil es weniger falsch positive auf jedes wahre positive Ergebnis gibt. Gleichzeitig sinkt der NPV, weil weniger wahre auf jedes falsch negative Ergebnis kommen.
Einfluss der Testbedingungen
Beim ungezielten Corona-Screening einer repräsentativen Stichprobe aus der Bevölkerung ist die Prävalenz gering, aktuell bei ca. 0,4%. Der PPV ist bei einer solchen Teststrategie niedrig. Mit dem oben gewählten Test würde er bei 12% liegen, d.h. jemand mit einem positiven Testergebnis ist nur mit 12%iger Wahrscheinlichkeit wirklich infiziert. Werden aber nur diejenigen getestet, die Symptome haben oder mit jemandem in Kontakt waren, der infiziert ist, erhöht sich die Prävalenz innerhalb dieser ausgewählten Population. Steigt die Prävalenz durch diese Maßnahme z.B. auf immer noch niedrige 10%, erhöht sich der PPV bereits auf 78%.
Wird der Nasen-Rachen-Abstrich nicht richtig durchgeführt und bleibt zu oberflächlich, sinkt die Sensitivität des eingesetzten Tests. Mit unserem Beispieltest liegt die Sensitivität dann nicht mehr bei 94%, sondern vielleicht nur noch bei 70%. In der Folge nehmen beide Vorhersagewerte ab: der PPV von 77,7 auf 72,2%, der NPV von 99,3 auf 96,7%. Mit einem negativen Test beträgt die Wahrscheinlichkeit, dennoch infiziert zu sein, damit nicht mehr 0,7%, sondern 3,7%, sie ist also um den Faktor 4,7 erhöht.
Auf den Seiten des RKI ist ein Rechner zu finden, mit dem PPV und NPV für Test verschiedener Sensitivitäten und Spezifitäten sowie verschiedene Prävalenzen berechnet werden kann. Eine Infografik des RKI und ein Artikel in der Ärztezeitung (Leuker, 17.11.2020) erklären und veranschaulichen grafisch den Einfluss verschiedener Teststrategien (die wichtig für die Prävalenz in der getesteten Population ist) auf die Vorhersagewerte.
Was man Patienten mitgeben kann, die Rat zu ihrem Testergebnis suchen:
- Kein Test ist zu 100% akkurat.
- Wenn im Rahmen einer gezielten Strategie getestet wurde und das Ergebnis positiv ist, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine Infektion vorliegt.
- Wenn Symptome vorliegen, ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion groß, auch wenn das Testergebnis negativ ist.
Quellen
Akobeng AK et al.: Understanding diagnostic tests 1: sensitivity, specificity and predictive values. Acta Pædiatrica 2006; 96:338–341
Kumleben N et al.: Test, test, test for COVID-19 antibodies: the importance of sensitivity, specificity and predictive powers. Public Health 2020; 185:88–90
Watson J et al.: Interpreting a covid-19 test result. BMJ 2020;369:m1808 doi: 10.1136/bmj.m1808
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Das Seminar zum Thema: Interpretation von Laborparametern
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