© Heeeyzl | stock.adobe.comHerr H.Z., 75 Jahre erhielt wegen einer knapp 60%igen Verengung einer Koronararterie und pektanginösen Beschwerden einen koronaren Stent implantiert.
Da er zwei Jahre zuvor eine tiefe Beinvenenthrombose erlitten hatte, wurde er bereits prä-operativ mit Phenprocoumon behandelt und sein INR-Wert auf 2-3 eingestellt. Vor der OP wurde ein Bridging mit Heparin durchgeführt, nun wird die Therapie mit Phenprocoumon fortgesetzt. Da er bereits antikoagulativ behandelt wird, soll von einer zusätzlichen Thrombozytenaggregationshemmung abgesehen werden, um Blutungskomplikationen zu vermeiden.
Die weitere Medikation (seit mindestens einem Jahr) umfasst Simvastatin und Metoprolol sowie schnellwirkendes Glyceroltrinitrat bei Bedarf, zusätzlich wegen Gichterkrankung Allopurinol und wegen Depression Amitriptylin.
Welche arzneimittelbezogene Probleme liegen hier vor oder könnten sich ergeben? Was wären mögliche Lösungsstrategien?
Immer wieder diese Trizyklika, die in solchen Therapien nichts zu suchen haben! 😉 Das wäre jetzt erst mal das vordergründigste Problem. Die Depresseion sollte aber auf jeden Fall behandelt werden. Wenn eine Psychotherapie erfolgreich ist, erübrigt sich ja die medikamentöse Therapie ansonsten Sichere Alternativen wären wphl Citalopram u.a.
Es stellt sich noch die Frage, ob ein ACE- Hemmer Bestandteil der Therapie sein sollte.
Lieber Herr Christmann,
herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Was genau meinen Sie mit „solchen Therapien“, in denen Sie keine Trizyklika sehen möchten?Sind sie grundsätzlich abzulehnen, so dass sie eigentlich lieber vom Markt genommen werden sollten?
Viele Grüße,
Dorothee Dartsch
Also das find ich ja mal ne spannendeFrage. Die könnte man doch hier mal öffentlich diskutieren und Belege und Studien hier zitieren. Bei mir kristalliisert sich so langsam heraus, dass, gemessen am Nutzen- Risikoprofil der Trizyklika, diese Substanzgruppe vor allem bei Polymedikation oder eben mehreren Erkrankungen wirklich ungeeignet ist. Konkret für diesen Fall meinte ich, dass Amitriptylin eine negative Nutzenbewertung im Hinblick auf die KHK-Prognose hat und durch SSRI ersetzt werden sollte. Soweit die Theorie. Wenn der Patient aber bereits vor dem KHK Ereignis Amtriptylin eingenommen hat, so gibt es wohl keine Studie die die bedenkenlose Umstellung auf ein SSRI dokumentiert.
Mich würden als erstes die Dosierungen der einzelnen Medikamente interessieren und ob bei diesem Patienten eine Nieren- oder Leberfunktionsstörung vorliegt.
Außerdem würde ich überprüfen, ob Allopurinol wirklich noch indiziert ist, da ich in der Praxis oft sehe, dass es ohne ersichtliche Indikation gegeben wird.
Bezüglich Allopurinol besteht auch eine Interaktion mit Phenprocoumon (gerinnungshemmende W. verstärkt, also Achtung bei An-und Absetzen).
Amitriptylin wird bei uns auch eher selten verwendet, bei Citalopram muss man allerdings bezüglich WW mit Metoprolol aufpassen (Erhöhung des Plasmaspiegels von Metoprolol möglich, mit nachfolgenden Problemen wie Hypotonie, Bradykardie,..).
Außerdem sollten laut den NVL ‚Patientinnen/Patienten nach koronarer Stentimplantation und Indikation zur oralen Antikoagulation eine Triple-Therapie (ASS + Clopidogrel + Antikoagulation) erhalten‘, allerdings wegen der Blutungsgefahr so kurz wie möglich. Der INR sollte im unteren therapeutischen Zielbereich (2-2,5) gehalten werden.
Statine sind als Mittel der Wahl richtig in diesem Fall, meiner Meinung nach (Reduktion der Morbidität und Sterblichkeit); auch B-Blocker erscheint mir angebracht.
Eventuell wäre ein ACE-Hemmer zusätzlich empfehlenswert?
Nitrate bewirken zwar keine Prognoseverbesserung, sind aber als Mittel der Wahl zur Anfallskupierung absolut indiziert.
Außerdem sollte der Patient jährlich eine Grippeschutzimpfung erhalten.
Liebe Frau Baumgartner,
herzlich willkommen aus Österreich!
Die Dosierung an die Leber- und Nierenfunktion anzupassen, ist immer eine gute Idee, v.a. bei älteren Patienten, und wenn möglich auf das interaktionsträchtige Allopurinol zu verzichten, genauso.
Statin, Betablocker, Nitrat, Grippeschutzimpfung: absolut d’accord.
Zur Frage der antithrombotischen Therapie haben Sie die Nationale Versorgungsleitlinie zitiert, das ist auch richtig. Um diese Empfehlung gibt es jedoch viel Diskussion, v.a. weil es viele Studien gibt, die thromboembolische und Blutungsereignisse separat erheben, aber nicht die Mortalität und Morbidität untersuchen, die ja sozusagen ein Summenparameter beider Ereignisse wären. Folglich ist die Empfehlung auch nur eine „sollte“- und keine „soll“-Empfehlung, und es gilt abzuwarten, ob sich Aktualisierungen in diesem Punkt von der momentanen Fassung unterscheiden werden.
Sie fragen, ob ein ACE-Hemmer zusätzlich angesetzt werden sollte. Gegenfrag: wonach richtet sich diese Entscheidung?
Herzlichen Gruß,
Dorothee Dartsch
Vielen Dank für den Hinweis bezüglich antithrombotischer Therapie.
Bei uns im Krankenhaus würde er für eine gewisse Zeit wahrscheinlich schon eine Tripletherapie bekommen, Dauer abhängig von der implantierten Stentart. Allerdings würde die Indikation für Marcoumar noch einmal überprüft und gegebenenfalls Marcoumar für gewisse Zeit unterbrochen werden.
Beim ACE-Hemmer bin ich mir nicht ganz sicher, eventuell abhängig von BD-Werten, pektanginösen Beschwerden,..?
Was für ein Stent wird implantiert? Die Frage ist, ob Phenprocoumon reicht, um eine Stentthrombose zu verhindern. Gerade bei Drug eluting Stents sollte doch zumindest Clopidogrel als Thrombozytenaggregationshemmer dazu gegeben werden.
Liebe Frau Hammel,
auch Ihnen herzlichen Dank für Ihren Beitrag zu diesem Fallbeispiel.
Angesichts der Unsicherheiten um die Empfehlung einer dualen oder einer Tripletherapie, bei denen man sich zwischen Thromboembolie- und Blutungsrisiko entscheiden muss, versuchen Sie mit der Frage nach der Art des Stents eine Risikoabschätzung – das ist gut. Aktuell werden vorwiegend „bare metal stents“ und „drug eluting stents“ verwendet. BMS haben den Nachteil, dass es durch Gewebeneubildung schneller wieder zum Verschluss kommen kann, während es bei DES länger dauert, bis der Stent mit Koronalendothel überzogen ist, so dass das Thromborisiko länger besteht und länger behandelt werden muss.
Ob das Phenprocoumon allein ausreicht, ist in jedem Fall mit ’nein‘ zu beantworten. Es braucht auch Thrombozytenaggregationshemmer – die Frage ist nur, ob einen oder zwei.
Beste Grße,
Dorothee Dartsch
…Und hier ist die Lösung:
Die Behandlung der tiefen Venenthrombose (TVT) mit einem Vitamin K-Antagonisten (VKA) und einem Ziel-INR-Wert von 2,0-3,0 ist leitliniengerecht. Wegen der langen Wirksamkeitsdauer müssen VKA vor geplanten Operationen rechtzeitig abgesetzt und durch ein Heparin ersetzt werden. Für die OP wird das Heparin kurzfristig abgesetzt, um die Blutung während des Eingriffs zu reduzieren, danach wird die Therapie mit dem VKA wieder aufgenommen. Dieser Wechsel wird als Bridging bezeichnet.
Die koronare Herzerkrankung wird mit Betablocker, Statin und schnellwirksamem Nitrat behandelt. Falls die linksventrikuläre Ejektionsfraktion eingeschränkt ist, sollte eine zusätzliche Therapie mit ACE-Hemmer erwogen werden. Der Verzicht auf ASS bei gleichzeitiger Antikoagulation ist in Ordnung.
Bei erhöhtem Harnsäurespiegel ist eine senkende Therapie nur dann indiziert, wenn Symptome bestehen. Nach drei beschwerdefreien Monaten unter harnsäuresenkender Therapie, in der Regel mit Allopurinol, sollte ein Absetzversuch unternommen werden. Da Allopurinol zu Interaktionen neigt, ist dies besonders bei Patienten unter Polypharmazie wichtig.
Amitriptylin ist zur Therapie der Depression zugelassen, auf das Auftreten anticholinerger unerwünschter Wirkungen und Risikofaktoren zur QT-Verlängerung ist zu achten. Es verstärkt die Wirkung von Phenprocoumon. Solange der INR-Wert im therapeutischen Zielbereich ist, die Medikation unverändert fortgeführt wird, sich die Begleiterkrankungen nicht ändern und keine unerwünschten Wirkungen auftreten, kann die Kombination beibehalten werden, was angesichts der akuten Problematik wünschenswert ist.
Der Verzicht auf Thrombozytenaggregationshemmung nach Koronarangioplastie ist nicht akzeptabel. Die Nationale Versorgungsleitlinie Koronare Herzkrankheit empfiehlt für die Situation des Patienten Z. eine Triple-Therapie mit VKA, ASS und Clopidogrel für vier Wochen nach OP. Danach ist die alleinige VKA-Therapie ausreichend oder bei geringem Blutungsrisiko die Kombination aus VKA und einem der Thrombozytenaggregationshemmer. Die Triple-Therapie beinhaltet ein hohes und z.T. mit eigener Letalität verbundenes Blutungsrisiko. Ihr Nutzen und Risiko wird weiterhin in Studien überprüft, so dass mit Änderungen der Empfehlung zu rechnen ist. Eine Studie von Dewilde WJ et al. (Lancet 2013;381(9872):1107-15) lieferte beispielsweise gerade Hinweise, dass die duale Therapie mit VKA und nur einem Thrombozytenaggregationshemmer sowohl weniger Risiko als auch mehr Nutzen hatte als die dreifache Therapie (s.a. Blogbeitrag „ADKA 2013: Kardiologische Studien – was Sie gelesen haben sollten“). Im vorliegenden Fall sollte also wenigstens ein Thrombozytenaggregationshemmer für mindestens vier Wochen zusätzlich angesetzt werden.
Die Frage, ob der VKA für die Dauer der Thromboseprävention am Stent durch ASS und Clopidogrel unterbrochen werden kann, ist eher negativ zu beantworten. VKA sind in der Prävention einer TVT deutlich wirksamer als Thrombozytenaggregationshemmer. Daher haben diese keinen Stellenwert in der Prophylaxe der VTE (S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE) v. 18.03.2009). Auch sind weder ASS noch Clopidogrel für diese Indikation zugelassen.
Zum Weiterlesen:
AWMF-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie“, 2010,
NVL Koronare Herzkrankheit, Modul Medikamentöse Therapie, 2011,
Tausche et al.: Gicht – aktuelle Aspekte in Diagnostik und Therapie (Dtsch Arztebl Int 2009; 106(34-35): 549-55; DOI: 10.3238/arztebl.2009.0549)
Dewilde WJ et al.: Use of clopidogrel with or without aspirin in patients taking oral anticoagulant therapy and undergoing percutaneous coronary intervention: an open-label, randomised, controlled trial (Lancet 2013;381(9872):1107-15)
S3-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE)“ v. 18.03.2009: