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Laborwerte richtig interpretieren: Biotin-Interferenzen

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Herzinfarkt, obwohl das Troponin T unauffällig ist? Verdacht auf Hyperthyreose ohne klinische Symptome? Bei Patienten, die Biotin einnehmen, kann das passieren, denn Biotin verfälscht die Bestimmung von Troponin, TSH und anderen Laborwerten, wenn sie auf Streptavidin-Basis gemessen werden [1,2,3,4].

Diese Methoden – Sandwichassays und kompetitive Immunassays – nutzen aus, dass die Bindung zwischen dem Streptomyces-Protein Streptavidin und Biotin (auch bekannt als „Vitamin B7“ oder „Vitamin H“) zu den stärksten bekannten nicht-kovalenten Bildungen in der Biologie gehört. Sind neben dem Biotin des Nachweis-Reagenzes größere Mengen an freiem Biotin in der Probe anwesend, besetzt letzteres einen Teil der Bindungsstellen, so dass die Menge des gebundenen Reagenzes nicht mehr mit der Konzentration des nachzuweisenden Proteins korreliert ist. Ergebnis: das Messergebnis ist erniedrigt / falsch negativ (bei Sandwichassays) oder erhöht / falsch positiv (bei kompetitiven Immunassays). Dabei reagieren die Tests der verschiedenen Hersteller unterschiedlich empfindlich auf Biotin [2,4].

Mögliche Folgen

Wenn der Patient nicht weiß, dass sein biotinhaltiges Präparat manche Laborwerte verfälscht, und ihn niemand nach solchen Präparaten fragt, können unerkannte Störungen der Messung durch Biotin zu Fehldiagnosen und Fehlentscheidungen führen. Als Beispiele: der Herzinfarkt, der Folsäure- und der Vitamin D-Mangel werden übersehen, der Patient erhält keine Behandlung. Es entsteht ein Verdacht auf M. Basedow, und der Patient erhält eine Behandlung, die nicht indiziert ist. Der Ciclosporinspiegel ist falsch niedrig, die Dosis wird erhöht, die Nierenfunktion nimmt ab. Für Tacrolimus dagegen ist der Spiegel falsch hoch, die Dosis wird reduziert, es kommt zur Transplantatabstoßung.

Der Tagesbedarf an Biotin liegt bei Säuglingen bei 4-6 µg, zwischen 1 und 15 Jahren bei 20-35 µg, danach bei 40 µg, in der Schwangerschaft bei 45 µg [5]. Zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel für Haar, Haut und Nägel decken diesen Tagesbedarf ab, andere enthalten deutlich mehr Biotin, manche bis zu 10 mg, die pro Tag eingenommen werden. Bei Patienten mit MS werden Tagesdosen bis 300 mg eingesetzt. Störungen der Tests traten bereits bei der Einnahme von niedrig dosierten biotinhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln auf. Ein Grenzwert, ab wann Biotin die Tests verfälscht, kann daher nicht angegeben werden. Das Risiko steigt mit der eingenommen Biotin-Menge [2,4]. Da verschiedene Labore verschiedene Testverfahren einsetzen und auch die Hersteller dieser Verfahren daran arbeiten, sie weniger störungsanfällig für Biotin zu machen, kann keine abschließende Liste der Laborwerte angegeben werden, deren Messung durch Biotin verfälscht wird. Im Zweifel muss das Labor bzw. der Testhersteller kontaktiert werden [4].

Maßnahmen

Biotin wird renal eliminiert und hat bei Dosierungen im Bereich des normalen Tagesbedarfs eine Halbwertszeit von ca. 2h. Sie kann aber bei Hochdosistherapien auf fast 19h ansteigen, und auch bei eingeschränkter Nierenfunktion ist sie verlängert. Bis zur vollständigen Elimination vergehen dann nicht 10 Stunden, sondern 4 Tage. Daher sollten nach der Einnahme einer Biotindosis im Bereich des normalen Tagesbedarfs 8 Stunden und nach einer hochdosierten Biotineinnahme 3 Tage vergehen, bevor Blut für die Bestimmung der Laborwerte entnommen wird. Das Vorgehen ist allerdings nicht praktikabel, wenn es z.B. um die Troponin-Bestimmung bei Verdacht auf Herzinfarkt geht. Dann können Aufreinigungsschritte im Labor durchgeführt werden, bei denne Biotin aus der Probe entfernt wird [4].

Empfehlung in der Apotheke

Apotheker sollten Patienten bei der Abgabe von biotinhaltigen Präparaten auf die möglichen Testverfälschungen hinweisen, damit sie ihrerseits denjenigen informieren können, der die Blutentnahme durchführt [2,3].

Quellen

[1] FDA Safety Communication vom 5. November 2019 (Update einer Meldung vom 28. November 2017). [Zugriff 16.12.2020]

[2] Bulletin zur Arzneimittelsicherheit Ausg. 4, Dezember 2018. ISSN (Print) 2190-0779. [Zugriff 16.12.2020]

[3] Rote Hand Brief zu biotinhaltigen Arzneimitteln: Risiko falscher Ergebnisse von Laboruntersuchungen durch Biotininterferenzen. 15. Mai 2019

[4] Li D et al.: AACC Guidance Document on Biotin Interference in Laboratory Tests. J Appl Lab Med 2020; 5(3):575-587

[5] Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V., Referenzwerte für Biotin [Zugriff 16.12.2020]

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